Dark Road

Leseprobe Auszug aus Kapitel XXIII

Yelo ritt voran. Sie konnte einfach keinen ihrer Begleiter mehr ertragen. Entgegen ihres Rates hatte Heiwa darauf bestanden, dass sie sich Pferde nahmen. Nun waren sie gezwungen, auf den Hauptstraßen zu bleiben. Dadurch konnten sie leichter entdeckt werden, doch der General vertrat die Ansicht, dass sie so weit im Osten nichts zu befürchten hatten. Yelos Versicherungen, dass sich sowohl Trilljas als auch Mancor bereits hier aufhielten, wurden abgetan. Und es waren nicht nur Wramgars Schergen, die zu fürchten waren. Sklavenhändler und Banditen trieben ebenfalls überall ihr Unwesen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wären sie zu Fuß aufgebrochen und hätten sich abseits der Straßen durch die Wälder bewegt. Je weniger Leute sie bemerkten, umso besser. Doch natürlich hatten weder Heiwa noch die Prinzessin die Absicht, die weite Reise zu Fuß zu bewältigen.

Yelo fragte sich ein um das andere Mal, was die drei dachten, wo sie hier waren. Auf einem Ausflug? Einer Erholungsreise? Es war gefährlich, in diesen Zeiten zu reisen. Yelo verfluchte die Sturheit und Arroganz Heiwas, die verhinderten, dass sie zwar langsamer, dafür aber sicherer und unbemerkt vorankamen.

Heiwa hatte ihr gleich zu Beginn klar gemacht, dass er die Reisegruppe führen würde. Sie hatte den Mund zu halten und zu folgen. Allerdings waren seine Fähigkeiten auf den königlichen Hof beschränkt und Yelo merkte sehr schnell, dass sie etwas tun musste, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Bisher war alles gut gegangen, doch Yelo ahnte, dass ihr Glück nicht von Dauer sein würde.

So hatte sie sich angewöhnt, ein gutes Stück vor den anderen zu reiten. Zum einen konnte sie die Straßen auf Verdächtiges hin überwachen und zum anderen entkam sie dem nie enden wollenden Redeschwall Heiwas. Er unterhielt die Prinzessin und Nepet in einer Lautstärke, als sei er auf einem königlichen Bankett und nicht auf einer Rettungsmission in der Wildnis.

Es war kaum zum Aushalten! Wieder schüttelte sie den Kopf. Unglaublich! Yelo war sich sicher, allein in der Wildnis, ohne Proviant und Pferd würde keiner der drei auch nur einen Tag überleben. Oh Göttin, warum nur konnte sie nicht allein reisen?

„Hey da!“

Heiwas Ruf schallte von hinten heran. Yelo zügelte ihr Pferd und drehte sich um.

Nepet winkte sie zu sich, während Heiwa der Prinzessin vom Pferd half.

Wieso hielten sie an? Es war noch nicht einmal Mittag. Sie ließ ihr Pferd zurücktraben.

„Ist etwas passiert?“, erkundigte sie sich, doch Nepet überhörte die Frage.

„Geh und such Holz, wir rasten hier!“

„Hier?“

Yelo fiel fast vom Pferd. „Darf ich vorschlagen, dass ...“

Heiwa fiel ihr ins Wort: „Du darfst gar nichts vorschlagen. Du hast einen Befehl bekommen. Führe ihn aus!“

Langsam stieg sie vom Pferd, nur mühsam ihren Zorn unterdrückend. Alles in ihr schrie danach, ihn an seinem Hemdkragen zu packen und etwas Vernunft in diesen sturen Körper zu schütteln. Es bedurfte ihrer ganzen Selbstbeherrschung, diesen Gedanken nicht umgehend in die Tat umzusetzen.

Yelo atmete tief aus. Bitte, wenn sie es unbedingt so wollten! Eine Rast mitten auf der Straße. Ungeschützt. Keine Chance auf Deckung! Sie waren verrückt! Wieso konnte nicht Heiwa auf sie hören? Hatte er denn wirklich so viel Angst vor ihr, dass er darüber jeglichen klaren Menschenverstand vergaß? Es ging ihr doch gar nicht darum, seine Autorität infrage zu stellen. Sie wollte einfach nur, dass sie sicher waren. Konnte er das denn nicht sehen?

Kevra hatte die Auseinandersetzung beobachtet. Im Stillen freute sie sich über die Art und Weise, wie der General Yelo behandelte. Es war nur richtig, wenn ihr jemand ihre Position verdeutlichte. Dagegen hatte sie nichts einzuwenden. Yelo war einfach zu arrogant. Kevra bemerkte, wie sich Yelos ganzer Körper anspannte und sich ihre Hände zu Fäusten ballten. Im Stillen bewunderte Kevra sie für ihre Selbstbeherrschung. Sie hätte niemanden so mit sich reden lassen.

Sie sah, wie Yelo die Lippen zusammenpresste, ihre Zügel Nepet zuwarf, der die Pferde absattelte und in Richtung des Waldes ging. Fasziniert beobachtete Kevra, wie sich Yelo geschmeidig und lautlos zwischen den Bäumen bewegte und schließlich gemeinsam mit dem Dekal im Wald verschwand. Als wären sie ein Teil des Waldes, dachte Kevra. Instinktiv wusste sie, dass Yelo eher hier draußen zu Hause war als der General.

 

Zuerst bemerkte es Kiala. Eine Veränderung in der Luft. Yelo legte eine Hand auf den Boden und fühlte die leichten Vibrationen. Das konnte nur eines bedeuten. Hufschläge! Da kam jemand oder besser viele Reiter!

Sie warf das gesammelte Holz weg und rannte, so schnell sie konnte, zurück zu den anderen.

Wenn sie sich beeilten, konnten sie es schaffen, sich noch rechtzeitig in Deckung zu bringen! Auf jeden Fall mussten sie von der Straße, und das schnell!

Yelo brach durch das Unterholz und erblickte Kevra, die gerade aufschaute. Als sie in Yelos Gesicht blickte und deren Anspannung sah, stand sie augenblicklich auf. Etwas war nicht in Ordnung. Mit voller Kraft kam Yelo herangesprintet und rief:

„Schnell, räumt alles zusammen, da kommt jemand!“

„Du gibst hier keine Befehle, dass das mal klar ist.“

General Heiwa hatte sich erhoben und blickte beifallsheischend auf die Prinzessin. Yelo schaute verzweifelt auf den General. Nicht das auch noch!

„General, wir haben keine Zeit für diesen Unsinn. Da kommt irgendjemand die Straße hinunter. Dem Geräusch nach zu urteilen, ist es eine Gruppe Reiter. Solange wir nicht wissen, wer das ist, sollten wir–“

„Sollten wir uns ruhig verhalten. Es gibt keinen Grund, sich zu verstecken. Wir befinden uns nicht in Feindesgebiet und mit jeder anderen Gefahr werde ich selbst fertig. Ich denke nicht daran, mich wie ein Hase im Dickicht zu verkriechen! Ich bin schließlich nicht umsonst General. Ich habe meine Fähigkeiten in zahlreichen Schlachten–“

Das war selbst für Yelo zu viel.

„General! Jetzt hört doch endlich auf mit diesem Schwachsinn!“, rief Yelo verzweifelt. „Es wäre die reinste Torheit, hier zu bleiben! Wir müssen uns verstecken. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch!“ Fassungslos starrte sie in die Gesichter der anderen. Ahnte denn hier niemand außer ihr, welche Gefahr drohte? Ein Blick auf Heiwa genügte, um festzustellen, dass er ihr in seiner Borniertheit nicht folgen würde. Sie blickte die Prinzessin an und streckte die Hand aus.

„Kevra, bitte!“, sagte sie eindringlich. „Wir sind hier nicht sicher. Wir müssen uns verstecken. Komm mit mir.“

Kevra, eben noch unsicher, ob sie nicht doch dem Vorschlag Yelos folgen sollten, empörte sich nun ob der intimen Anrede. Was glaubte sie eigentlich, wer sie war!?

„Wie kannst du es wagen!“ Ihr Gesicht wurde rot vor Zorn.

„Was erlaubst du dir?“, schnappte der General, bevor die

Prinzessin fortfahren konnte.

„Du hast die Prinzessin mit Hoheit anzureden. Wage es nicht–“

„Fein.“ Yelo schnitt ihm das Wort ab. Jetzt war es genug! „Wenn ihr wirklich hier sterben wollt, dann bitte schön. Ich möchte weiterleben und ich werde mir das nicht länger antun. So viel Dummheit ist einfach nicht zu ertragen.“ Sie wandte sich an die Prinzessin. „Und Ihr, ‚Hoheit‘, tätet gut daran, solltet Ihr die kommende Begegnung überleben, Euch einen anderen Ratgeber und Reiseführer zu suchen. Ich werde mich allein auf den Weg machen, um die Königin zu befreien. Ich bezweifele, dass auch nur einer von Euch je Darklûn erreichen wird.“

Mit diesen Worten nahm sie ihr Gepäck und verschwand im Wald. Einer der größeren Bäume bot ihr ausreichend Deckung. Vorsichtig spähte sie hervor, um einen Blick auf die Straße zu werfen. Die drei standen immer noch da, wo Yelo sie verlassen hatte, und blickten sich verdattert an. Doch noch ehe jemand auch nur ein Wort sagen konnte, kam eine große Reiterschar herangeritten, die sie augenblicklich umringte. Yelo zählte ungefähr dreißig Reiter. Alle bewaffnet mit Schwertern, Bögen und Dolchen. Manche trugen noch eine Axt quer über ihrem Rücken. Ihre Kleidung verriet, dass sie schon einige Zeit im Sattel saßen. 

Yelo beobachtete, wie Kevra einen Blick auf deren Gesichter warf und erschrocken aufschrie. Offenbar hatte sie soeben begriffen, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Einen großen! Und wie es schien, würde das ihr letzter sein. Das waren keine einfachen Reisenden, sondern Banditen.

Die Reiter zügelten ihre Pferde.

„Wen haben wir denn da? Ein hübsches Frauenzimmer und zwei Hampelmänner?“

Die Männer lachten. Ihre Stimmen klangen rau. Einer der Reiter stieg ab und kam auf Kevra zu. Gerade streckte er seine Hand aus, um nach ihr zu greifen, als Nepet seine Axt in die Hände nahm und sich schützend vor die Prinzessin stellte. Doch schon im nächsten Augenblick trieb ein anderer Reiter sein Pferd vorwärts, zog sein Schwert und stieß zu. Das geschah so schnell, dass Nepet nicht einmal mehr dazu kam, seine Axt zu heben. Nur einen Wimpernschlag später sank Nepet tot zu Boden. Kevra schrie vor Entsetzen auf. Sie wollte sich gerade zu Nepet hinunterbücken, als der Reiter am Zügel riss und das Tier hochstieg. Im letzten Moment konnte der General Kevra vor den herabsausenden Hufen zurückreißen.

„Meine Herren, ich bin sicher, dass wir uns irgendwie einigen können“, sagte er schnell. Yelo konnte nicht glauben, dass er, nachdem was gerade mit Nepet passiert war, immer noch glaubte, sich irgendwie herausreden zu können! „Sicher gibt es einen Weg, wie wir unbehelligt unseres Weges ziehen können. Wir haben–“

Einer der Männer schlug ihm mit der flachen Seite seines Schwertes auf den Hinterkopf, sodass er bewusstlos niedersank. Kevra, die neben ihm stand, war vor Schreck erstarrt. Yelo hoffte inständig, dass dies so bleiben würde. Sollte ihr Temperament mit ihr durchgehen und sie nach ihrem Schwert greifen, würden sie sie ohne Weiteres töten. Da war sich Yelo sicher.

„Was machen wir mit ihr? Nehmen wir sie mit?“, fragte der Reiter, der Heiwa geschlagen hatte.

Der Mann, der offenbar das Wort führte, überlegte laut.

„Die Kleine sieht aus, als würde sie aus einem guten Haus kommen. Wir könnten sicher ein ordentliches Sümmchen Lösegeld für sie bekommen. Anderseits, wenn wir sie als Sklavin verkaufen, bekommen wir bei dem hübschen Gesicht vermutlich genauso viel Gold, wenn nicht sogar mehr. Und wir haben keine Scherereien mit irgendwelchen Angehörigen. Hm, ich sage: wir nehmen sie mit. Beide kommen zu unserer kleinen Herde. Und dass ihr mir die Kleine in Ruhe lasst! Ich will sie zuerst kosten, habt ihr mich verstanden?“

Die anderen murmelten ihre Zustimmung, manche jedoch mit ein wenig Bedauern.

Sie hoben den immer noch bewusstlosen Heiwa auf eines der Pferde und schnürten ihn fest. Kevra wurden die Hände vor dem Bauch zusammengebunden und sie musste vor einem der Männer im Sattel Platz nehmen, der seine Aufgabe sichtlich genoss. Er band sie mit einem weiteren Seil fest an sich, sodass sie nicht herunterrutschen, er aber die Hände frei haben würde. Ein paar der Männer durchwühlten die Habseligkeiten und Taschen und nahmen sich, was sie für brauchbar hielten. Vor allem über die prall gefüllte Geldbörse des Generals freuten sie sich außerordentlich. Anschließend nahmen sie die Zügel der Pferde und stiegen auf ihre eigenen. Dass es vier Pferde und nur drei Reiter gab, schien ihnen nicht aufzufallen.

Wahrscheinlich nahmen sie an, dass sie eines der Pferde als Packtier genutzt hatten. Dann ritten sie davon. Nepet ließen sie liegen.

 

 

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